Schreiben heute
ist auf der einen Seite leichter, auf der anderen anspruchsvoller denn je geworden. Das geschriebene Wort befindet sich in so vielen politischen, kulturellen, auch
wirtschaftlichen Interessenskonflikten, dass ich gar nicht weiß, wie und wo ich anfangen soll.
Fest steht: In praktisch jedem Haushalt befindet sich ein Computer und dieser ist mit preiswerter, aber voll funktionsfähiger Software ausgestattet. Das macht es einfach, Texte zu erstellen.
Mühelos sind diese optisch gefällig layoutiert und dank Rechtschreibprüfung sprachlich wenigstens auf Mindestniveau.
Viele Zeitgenossen, denen der Umgang mit der ehemaligen Schreibmaschine zu mühevoll gewesen wäre, fühlen sich dadurch motiviert, Texte zu erstellen. Dementsprechend vielfältig bzw. umfangreich
ist auch der literarische Output der Bevölkerung. Die in den letzten Jahren an allen Ecken und Enden aus dem Boden geschossenen Schreibwerkstätten bemühen sich nach Kräften, die Kenntnisse zu
vermitteln, deren es bedarf, massenkompatible Gebrauchsliteratur zu erstellen. Tendenziell tragen sie maßgeblich dazu bei, die Qualität des literarischen Outputs zu vergrößern.
Dennoch sehe ich diese Entwicklungen mit gemischten Gefühlen. Ohne Frage freut es mich, wenn es nunmehr so gut wie jedem Menschen, der es möchte, möglich ist, sich literarisch zu artikulieren,
aber die Menge macht es nicht. Der alte Gegensatz zwischen Qualität und Quantität macht uns mehr denn je zu schaffen. Die Erfolgs- und Qualitätskriterien klaffen so weit auseinander wie noch nie.
Modernes Marketing macht es möglich, dass sich selbst z. B. Autobiografien zweitklassiger, öffentlichkeitsgeiler Promis, randvoll gestopft mit peinlichen Enthüllungen, erstklassig verkaufen. Es
liegt beileibe nicht immer die Qualität im Schaufenster des Buchladens, sondern eben das, was sich (aus welchen Gründen auch immer) verkaufen läßt. Das gedruckte Wort ist zur Hure
verkommen.
Den erleichterten Produktionsbedingungen steht gegenüber, dass sich das Freizeitverhalten des Publikums und dessen Prioritäten beim Einkauf geändert haben. Wenn wir nur beobachten, was die Jugend
beschäftigt: Spielkonsolen und auch am Computer wird in erster Linie gespielt! Und die ältere Generation? Die lässt ebenfalls aus, weil sie weder Zeit noch Muße hat, das literarische Angebot zu
bewältigen. Jedes Jahr werden auf der Frankfurter Buchmesse rund 90.000 Neuerscheinungen vorgestellt. Den, der die literarische Szene im Überblick hat, gibt es nicht mehr. Zu perspektivisch ist
die Sicht auch des versiertesten Literaturkritikers auf den Markt geworden.
Die Folge ist eine fast explodierende Menge an literarischen Texten, auf der Suche nach Lesern. Das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ist angebotslastig wie noch nie. Der Neoliberalismus,
der unsere Zeit mit seinem häßlichen Finger brandmarkt wie die Pest das Mittelalter, verlangt ebenfalls seine Opfer. Teils zu Recht argumentieren die Verlage mit geändertem Freizeitverhalten,
wirschaftlichem Druck, gesättigten Märkten usw., wenn sie weniger denn je bereit sind, sich für die Masse eher unbekannter Literaten ins Zeug zu werfen.
Bis vor wenigen Jahrzehnten verfolgte jeder namhafte Verlag den Grundsatz, im Rahmen der Nachwuchsförderung auch unbekannte Autoren zu verlegen. Das war Imagepflege, die durch den Verkauf der
übrigen Bücher, vor allem der Bestseller, betriebswirtschaftlich mitgetragen wurde. Inzwischen ist dieser Grundsatz immer weniger Teil der Unternehmenskultur. Im Zuge der Gewinnmaximierung wird
jedes Risiko eingeschränkt, soweit es möglich ist. Also publiziert man mehr denn je Übersetzungen von Titeln, die bevorzugt im angloamerikanischen Raum bereits Erfolge eingefahren haben. Kurz,
die Risikobereitschaft der Verlage sinkt, das literarische Angebot wird als logische Folge noch mehr standardisiert. Mainstream allenthalben ...
Dabei befinden wir uns an sich in einer ungemein herausfordernden Zeit. Das kollektive Thema "Vergangenheitsbewältigung" wird abgelöst, weil die Generation, die sich momentan literarisch nach
vorne drängt, keine Vergangenheit zu bewältigen hat. Diese jedenfalls nicht. Davon abgesehen ist die Vergangenheitsbewältigung längst zur Marketing-Maschinerie verkommen, zur Pflichtübung für den
deutsch-österreichischen Intellektuellen. Zeit, den Weg frei zu machen.
Die Gegenwart liefert mehr wie genug Themen, die es verdienen, von uns Literaten beackert zu werden. Die Welt hat sich zum großen Dorf gewandelt, mit allen Vor- und Nachteilen. Bewegen wir uns
doch im Windschatten der Globalisierung sukzessive von der Demokratie weg, hin zur Oligarchie. Unaufhaltsam öffnet sich die Schere zwischen Arm und Reich. Unaufhaltsam ..? Wer könnte der
einseitigen, sozial ungerechten Konzentration der wichtigsten Ressourcen in der Hand von einigen wenigen Privilegierten Einhalt gebieten, wenn nicht die Herren (und natürlich Herrinnen) des
geschriebenen Wortes? Also wir, die Literaten?
Was aber machen die meisten von uns? Mit allen Tricks versuchen wir, erfolgreich zu sein. Schließlich wollen wir "nur" eine gute Geschichte schreiben, die allgemein anerkannt und auch
entsprechend honoriert wird. Das kann ja wohl nichts Verwerfliches sein! Und dennoch müssen wir uns fragen: In den Dienst welcher Ideologie stellen wir unsere Fähigkeiten? Was der römische
Satiriker Juvenal um ca. 100 n. Chr. „Brot und Spiele“ genannt hatte, müsste heute "Multimedia und Hotdog" oder ähnlich heißen. Der Sinn jeden Entertainments im Kontext obrigkeitlicher Strategie
ist derselbe: Das Volk von der (sowohl unnötigen als auch ungerechten) sozialen Schieflage im gesellschaftlichen Gefüge abzulenken. Bücher, Filme und Sport haben in diesem Rahmen die Aufgabe,
Ersatzwelten bereit zu stellen, durch die sich die Untertanen aus einer rauen, sozial ungerechten Wirklichkeit hinausträumen dürfen. Sonst könnte einer unangenehme Fragen stellen, oder gar
Forderungen. Diese Strategie hilft, den Status quo und damit die Privilegien der Reichen und Mächtigen, der Oberen Zehntausend, der Oligarchen, der Plutokraten oder wie immer man sagen will,
abzusichern.
So ist es möglich, dass Harry Potter den bösen Lord Voldemort besiegt, Frodo den Einen Ring vernichtet oder die Vampire den Holzpflock in das Herz kriegen. Aber was ist mit den Voldemorts im
wirklichen Leben? Was mit den Vampiren? Ein Vampir ist ein Lebewesen, das auf Kosten anderer lebt, und die gibt es vielleicht nicht? Ist nicht "Vampir" eine bestenfalls originelle
Umschreibung für die Privilegierten, Reichen, Mächtigen, kurz, die Oligarchen? Was aus dieser Sicht unter einem Zombie zu verstehen ist, überlasse ich der Vorstellung des Lesers.
Blind gegenüber der Tatsache, dass wir Literaten die herrschende Gesellschaftsideologie (und damit die Privilegien der Oligarchen) mit unserem Output stützen, hat sich eine neue
Elfenbeinturm-Mentalität etabliert. Diese sollte jeder von uns grundsätzlich hinterfragen. Einerseits sollte es in der Tat möglich sein, eine gute Geschichte zu schreiben und von ihrem Verkauf
leben zu können, andererseits ...
Der Neoliberalismus kennt keine Gnade: Wer sich den Gesetzen nicht unterwirft, wird mit Misserfolg bestraft. Also: Wer vom Schreiben leben will, vermeidet es, solche Metaüberlegungen anzustellen.
Der Pragmatiker zahlt für seine Einstellung mit Zynismus als Rechtfertigungsstrategie für seine Vogel-Strauss-Politik.
Wir sehen also: Das geschriebene Wort befindet sich in so vielen politischen, kulturellen, aber auch wirtschaftlichen Interessenskonflikten, dass ich gar nicht weiß, wie und wo ich aufhören
soll.
Sicher, Literatur zu schreiben war niemals leicht, das an sich wäre nichts Neues. Aber heutzutage befassen uns noch mehr teils grundlegende Fragen des Umfeldes. Wie noch nie in der Geschichte der
Menschheit sind wir Literaten aufgerufen, den Kontext unseres Schaffens (selbst)kritisch zu reflektieren. Fragen über Fragen, die alle nach einer Antwort verlangen; nach unserer Antwort!
"Bücher sind gefährlicher als Atombomben, aber nicht halb so ungesund."
( Anton Christian Glatz)